Internationale SommerFestspiele Bensheim Auerbach

Auerbach, die Festspiele und Wilhelm Ringelband

Festspielleiter Klaus P. Becker erinnert sich an einen wichtigen Mentor

Der seit 1944 bis zu seinem Tod im Auerbacher Kurviertel ansässige Bergsträßer Theaterkritiker Wilhelm Ringelband (1921 – 1981) hat sich mit seinem Vermächtnis ein Denkmal gesetzt. Der von ihm testamentarisch gestiftete Gertrud-Eysoldt-Ring, der seit 1986 alljährlich gemeinsam von der Stadt Bensheim und der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste für herausragende schauspielerische Leistungen vergeben wird, ist mit 10.000 Euro dotiert und zählt zu den renommierten Theaterpreisen in Deutschland.

Daneben war dem seiner Heimat eng verbundenen Wilhelm Ringelband aber auch die Kulturförderung vor Ort eine Herzensangelegenheit, die er testamentarisch verfügt hatte, wenngleich dies im öffentlichen Bewußtsein etwas in den Hintergrund geraten ist und heute der Fokus in der Öffentlichkeit mehr auf dem roten Teppich und der Gala im Rahmen der alljährlichen Preisverleihung des Eysoldt-Ringes im Parktheater liegt.

Wilhelm Ringelband war ein großer Verehrer der renommierten Max-Reinhardt-Schauspielerin Gertrud Eysoldt (1870 – 1955), die dem jungen, ambitionierten Theaterliebhaber bis zu ihrem Tod eine wichtige Bezugsperson und Ratgeberin war. Beide pflegten über viele Jahre einen sehr freundschaftlichen Briefkontakt, ohne sich im Leben je persönlich gesehen zu haben. Wilhelm Ringelband war als Theaterkritiker Autodidakt. Da er seitens seiner Familie finanziell weitgehend unabhängig war, konnte er sich nach dem Krieg als junger Mann ausschließlich seiner großen Leidenschaft für Theater und Film widmen. Er wurde freier Mitarbeiter vieler Zeitungen bundesweit und schrieb Kritiken, Nachrufe und Jahreschroniken. Er arbeitete auch an Buchprojekten, u.a. über den von ihm verehrten großen Burgschauspieler Ewald Balser (1898 – 1978). Der Tod von Ewald Balser machte dieses nicht abgeschlossene Buchprojekt leider zunichte.

Die Stadt Bensheim ist erst auf Umwegen an das Erbe Wilhelm Ringelbands gekommen, der an erster Stelle seine Geburtsstadt Frankfurt am Main testamentarisch bedacht hatte. Frankfurt und in der Folge andere große Städte wie München lehnten das Erbe aber ab. Nach Einschätzung von Becker aus Gründen, die zum einen in den sehr komplexen Bestimmungen zu verschiedenen Preisstiftungen lagen, zum anderen, weil diesen Städten der persönliche Bezug zu Ringelband und dessen Anliegen fehlte. Als das Erbe letztlich der Stadt Bensheim angetragen wurde, griff Bürgermeister Georg Stolle beherzt zu und zog die Deutsche Akademie der Darstellenden Künste zu Rate, die später mit Unterstützung der Stadt ihren Sitz von Frankfurt nach Bensheim verlegen konnte.

Festspielleiter Klaus P. Becker lernte Wilhelm Ringelband schon zu Schülerzeiten 1968 mit der Eröffnung des Parktheaters kennen und konnte damals noch nicht absehen, daß er zu einem wichtigen Mentor und Wegbegleiter für seine spätere Theaterlaufbahn vom Regisseur im Schülertheater über seine Kellertheaterzeit in Bensheim bis zum Schauspieler am Staatstheater Darmstadt werden sollte.

Nach Ringelbands Tod war Becker 1986 neben seinem Engagement am Staatstheater Darmstadt als damals kommissarischer Kulturbeauftragter und designierter Kulturreferent der Stadt unter Bürgermeister Georg Stolle auch mit dem Testament und der Organisation der ersten Eysoldt-Ring-Verleihung 1987 an Doris Schade befasst. Mit dem ein oder anderen späteren Eysoldt-Preisträger, wie Ernst Stötzner (2007) stand Becker zu seiner Zeit am Staatstheater Darmstadt (1975 – 1987) selbst auf der Bühne. „Die Theaterwelt ist klein, da kennt fast jeder jeden“, so Becker.

In Bensheim war Wilhelm Ringelband vor allem als engagierter Begleiter des örtlichen Theater- und Kulturlebens mit seinen Kritiken im Bergsträßer Anzeiger bekannt und zu einer meinungsbildenden Institution geworden. Mit der Eröffnung des Parktheaters 1968 war Bensheim in eine neue Ära vorgestoßen. Die städtischen Abonnementsreihen wurden damals von Beckers Vater August-Heinrich („Kultur-August“) verantwortet, der u.a. als Leiter des Kulturamtes zugleich auch Theaterleiter war. Ringelbands meist liebevollen Kritiken waren in der Bensheimer Öffentlichkeit der Maßstab und Kompass. Und wenn ihm eine Inszenierung mal so ganz und gar nicht gefallen hatte, was selten vorkam, dann war unüberhörbar, wie schwer er sich damit tat, auch mal Tadel aussprechen zu müssen, der dann aber alles andere als zum gefürchteten Verisss ausartete, sondern eher liebevoll bedauernd, milden Charakter hatte.

Bretter, die die Welt bedeuten: Nirgendwo mehr Freizeit verbracht ...
Durch die ausgesprochen musische Prägung der Familie Becker - Mutter Hildegard Becker-Eberle war Opern- und Konzertsängerin - übertrug sich alles was mit Theater, Musik und Bühne zu tun hatte sehr schnell auch auf die drei Kinder, sodaß Vater Becker seine theaterbegeisterten Sprößlinge Klaus-Peter, Dorothee und Matthias kurzerhand für die regelmäßigen Abenddienste wie Einlaß, Programmheftverkauf usw. verpflichtete, sodaß sie über Jahre eine ganze Ära im Parktheater miterleben durften. „Zu Schülerzeiten haben wir nirgendwo mehr Freizeit verbracht, als im Parktheater“, erinnert sich Becker. Dabei standen die Brüder Matthias - heute Musikwissenschaftler, Komponist, Arrangeur, Chorleiter und international renommierter Vocal Coach und Verleger - und Klaus P. Becker auch mit vielen großen Stars auf der Bühne: Die Stars vorne an der Rampe, und die Brüder Becker hinter der Bühne im grauen Arbeitskittel - „der hängt heute noch im Keller“-, denn sie waren auch als Kulissenschieber für die Umbauten zwischen den Akten vom Vater „dienstverpflichtet“, sowie als Aufbauhelfer. „Das war damals eine mühsame Arbeit“, blickt Becker zurück, „denn das Parktheater hatte ursprünglich ja keine Seitenbühne für die Andienung und alle Kulissen mussten wir mit dem unermüdlichen Karl-Heinz Zahn, der langjährigen guten Seele des Parktheaters, durch den Saal und das Foyer schleppen“.

Vor dem Hintergrund dieser intensiven Theaternähe und den ständigen Begegnungen mit Wilhelm Ringelband bei Veranstaltungen im Parktheater, entwickelte sich sehr schnell eine sehr freundschaftliche, familiäre Nähe zu diesem stets bescheiden und liebenswürdig auftretenden Mann, der durch eine chronische Kriegserkrankung Zeit seines Lebens gezeichnet war und mit stets gesenktem Kopf einen schweren, leicht vorgebeugten Gang hatte.

Dass Klaus P. Becker später selbst einmal professionell als Schauspieler auf der Bühne stehen würde - Ensemblemitglied am Staatstheater Darmstadt von 1975 bis 1987 -, war damals noch nicht absehbar. Der rege Austausch mit Wilhelm Ringelband nahm erst neue Formen an, als Becker im Parktheater die ersten eigenen künstlerischen Schritte mit Inszenierungen in jeweils eigenen Bühnenbildern im Rahmen der Theater AG am AKG machte und seit dieser Zeit Ringelband zu einem wichtigen Ratgeber und Begleiter wurde, auch nach der Schulzeit, als Becker mit Inszenierungen im Kellertheater Bensheim zu einer der treibenden Kräfte der Neuen Theatergruppe Bensheim wurde, die sich später in Theater Mobile umbenannte. Der mit dem Parktheater verbundene Gewölbekeller unter dem „Dalberger Hof“ - damals das Kellertheater - ist heute zu Künstlergarderoben umgebaut. Nach dem Umzug ist das Theater Mobile auch heute noch eine feste kulturelle Größe an der Bergstraße im benachbarten Zwingenberg.

Viel Gelegenheit zum Austausch war auch bei gemeinsamen Theaterbesuchen noch zu Schülerzeiten in den vielen Staats- und Stadttheatern im Rhein-Main-Neckar-Gebiet, als Becker Wilhelm Ringelband in dessen PKW chauffierte. Es gab auch gesundheitlich sehr schlechte Tage, an denen sich Ringelband mit eisernem Willen und großer Disziplin geradezu ins Theater quälte und man als Begleiter dann ganz beklommen und weitgehend hilflos daneben saß.

Sehr gut kann sich Becker erinnern, daß er Wilhelm Ringelband 1974 auch zur ersten Pressekonferenz von Hans Richter anläßlich der neuen Heppenheimer Festspiele in den Winzerkeller begleitet hat. Da Becker damals in Bensheim schon als Theatermacher aktiv war (Theater AG am AKG und Kellertheater), verfolgte er Hans Richters ambitioniertes Wagnis, das damals an der Bergstraße für Aufsehen sorgte, mit ganz besonderem Interesse und beeindruckenden Respekt, für den Mut zu einem solchen unternehmerischen Wagnis. Daß Becker später einmal in Auerbach ähnliche Festspiel-Pfade einschlagen und am eigenem Leib erleben sollte, was eigenes unternehmerisches Risko im Kulturbereich bedeutet, war damals noch nicht absehbar.

Von Moden und Neurosen
Den Theaterkritiker Ringelband zeichnete im Gegensatz zu manch verkopften Feuilleton-Schreiber eine eher emphatische Herangehensweise an einen Theaterabend aus. Bei Ringelband standen immer die von ihm geschätzten Schauspieler, der Autor und das Stück im Vordergrund. Im Gegensatz zum aufkommenden Zeitgeist im Zuge der 68er und des Regietheaters, sich eher mit den eigenen Neurosen und/ oder denen des ach so avantgardistischen Regisseurs auseinanderzusetzen - verkürzt dargestellt - nach dem Motto „Je unkenntlicher das Stück und der Autor, umso toller die Inszenierung und der Regisseur“.

Diese modische  Phase an deutschen Bühnen veranlasste damals auch namhafte Schauspieler - wie etwa Will Quadflieg oder Maria Becker - dem subventionierten Staats- und Stadttheaterbetrieb den Rücken zu kehren und die eigenen Vorstellungen von Theater selbstverantwortet auf Tournee zu verwirklichen. Die Hoch-Zeit des Tourneetheaters in den 1970er Jahren wurde auch dadurch begründet, daß zunehmend bekannte Film- und Fernsehgesichter auf Theatertournee gingen und auch im Parktheater regelmäßig große Namen zu erleben waren wie etwa Maria Schell, Elisabth Flickenschildt, Lola Müthel, O.W. Fischer, Curd Jürgens, Gustav Knuth, Ellen Schwiers, Berta Drews, Götz George, Horst Tappert, Hansjörg Felmy, Inge Meysel, Paul Hubschmid, Eva Renzi, Dagmar Koller, Johanna von Koczian, Sonja Zieman, Charles Regnier, Karl-Heinz Schroth, Thomas Fritsch, Dietmar Schönherr, Barbara Rütting, Sabine Sinjen, Inge Meysel, Willy Millowitsch, Harald Juhnke oder Hans-Joachim Kulenkampff und viele andere, wie sich Becker beim Blättern im familären Künstleralbum mit vielen persönlichen Widmungen sehr gut erinnert.

Bergsträßer Spargelessen mit Edith Hancke und Hansjörg Felmy
Mit manchem Promi verbinden sich auch besondere Erinnerungen, wenn man etwa nach der Vorstellung noch im Hotel oder einem Restaurant zusammengesessen hat. Unvergessen ein Abend am 26. April 1972 beim gemeinsamen Spargelessen im „Sickinger Hof“ (heute Hotel Bacchus) - es war gerade die Spargelsaison an der Bergstraße - mit einem aufgeräumten Hansjörg Felmy, Edith Hanke und weiteren Kollegen des Tourneeensembles.

Auch viele bekannte Künstler anderer Genres wie Heinz Erhardt, Dieter Halllervorden, Jürgen von Manger alias „Adolf Tegtmeier“, Schobert & Black, Hannes Wader, Hanns Dieter Hüsch oder damals angesagte Musikgruppen wie Los Parguayos oder Rockstars wie The Lords und The Petards - wer kennt die heute noch? – begegnete Becker damals im Parktheater.

Der junge Rudi Carell und Howard Carpendale unplugged
Unvergessen ist eine ganze Woche im März 1969 zusammen mit dem damals 35 Jahre jungen Rudi Carell, der im Parktheater eine Folge seiner populären Radiosendung beim Hessischen Rundfunk „Rudi´s Radio Schau“ probte und live sendete. Dabei waren u.a. sein langjähriger Partner auch in Fernsehshows wie „Das laufende Band“ Heinz Eckner, die Sängerin Lonny Kellner (Ehefrau von Peter Frankenfeld), die Jacob Sisters - mit Pudeln! -, die sich damals noch brav „Geschwister Jacob“ nannten und das Orchester Ambros Seelos.

Sehr gut im Gedächtnis ist Becker auch ein Konzert 1971 von Howard Carpendale, der gerade Anlauf nahm zu einer gewissen Popularität, nachdem er mit „Das schöne Mädchen von Seite Eins“ den ersten Platz beim Deutschen Schlager-Wettbewerb 1970 gewonnen hatte. Der damals 25 Jahre junge aufstrebende Schlagersänger saß ziemlich einsam mit der Klampfe auf einem Barhocker an der Rampe und war noch weit entfernt von einm Publikumsmagneten und Frauenschwarm. Ganz im Gegensatz zu Rudi Carell, der damals auch in Bensheim Teile der Bensheimer Damenwelt ganz schön auf Trab gebracht hatte.

Wilhelm Ringelband pflegte zu vielen prominenten Schauspielern, die seine warmherzige und die Arbeit des Schauspielers stets hochachtende Art der Rezension sehr zu schätzten wussten, über Jahre sehr freundschaftliche Kontakte. So pilgerte er im Parktheater regelmäßig meist schon vor der Vorstellung in die Garderobe zur Begrüßung und einem kurzen Plausch vorab. Ganz besonderer Wertschätzung erfreute sich Wilhelm Ringelband durch Hans-Joachim Kulenkampff.

„Weck, Worscht und Woi“ oder: „Kuli“, die Poststuben und der Luftkurort...
Seine große Anziehungskraft als eifriger Tournee-Schauspieler hatte „Kuli“ seiner Popularität als Quizmaster im Fernsehen zu verdanken. Seine langjährige große Samstagabendsendung „Einer wird wird gewinnen“ (EWG) war ein wahrer Straßenfeger und Kult. Keinem anderen Promi ist Becker im Parktheater öfter begegnet als „Kuli“, der bei seinen Gastspielen in Bensheim oder auch bei anderen Gelegenheiten vorzugsweise immer gerne in den „Poststuben“ logierte - unweit von Ringelbands Haus im Auerbacher Kurviertel - und auch die bekannt gute Küche dort überaus zu schätzen wusste ebenso wie den Bergsträßer Wein.

Daß Kulenkampff wahrlich kein Kostverächter war, ist Becker unvergessen anläßlich der allerersten Begegnung, die allerdings nicht im Parktheater war, sondern im Schlepptau von Wilhelm Ringelband in Frankfurt. Kuli spielte damals an seiner Hausbühne, dem Rémond-Theater, und Wilhelm Ringelband war nach einem Vorstellungsbesuch bei den Mai-Festspielen am Staatstheater Wiesbaden, zu dem ihn Becker chauffiert und begleitet hatte, auf der Rückfahrt noch mit Kuli im legendären Künstlerkeller im Gewölbe des Karmeliterklosters verabredet. Unvergessen das Bild dieser ersten Begegnung mit dem großen Fernsehstar, den Becker bis dahin nur von der Mattscheibe kannte und ob seiner Schlagfertigkeit und seines stets souveränen Auftretens sehr bewunderte.

Als Ringelband und Becker in den Künstlerkeller kamen, saß Kuli schon im Kreis von einigen Kollegen am Tisch mit einer mächtigen Portion Fleischwurst auf einem rustikalen Holzteller vor sich - gefühlt muss das ein ganzer Ring gewesen sein - und einer Literflasche Weißwein. Jedenfalls war Becker, damals im Pennäler-Alter, mehr als nur beeindruckt von der schieren Menge an Speis und Trank, die da vor Kuli aufgetischt war und dachte sich nur, wie kann das ein Mensch allein nur vertilgen? „Heute kann ich da locker mithalten“, lacht Becker in Erinnerung an einen unvergessenen Abend in privater Runde mit dem großen „Kuli“ in überaus aufgeräumter Stimmung.

Schülertheater par exellance
Wilhelm Ringelband begleitete von Anfang an auch die lokalen Theateraktivitäten von Becker seit Schülerzeiten mit seinen Rezensionen im Bergsträßer Anzeiger. „Was uns junge Leute damals sehr beeindruckt und stolz gemacht hatte, war die Tatsache, daß Wilhelm Ringelband jeden Theaterabend mit dem gleichen Ernst und der gleichen Professionalität rezensiert hat, egal ob Schülertheater oder Stargastspiel mit Promis“, weiß Becker zu berichten.

In besonderer Erinnerung ist Becker die Kritik zur Inszenierung mit der Theater AG am AKG „Der Held der westlichen Welt“ („The Playboy of the Western World“) des irischen Autors John Millington Synge. Die geradezu euphorische Rezension von Wilhelm Ringelband am 21. Dezember 1973 im Bergsträßer Anzeiger war überschrieben „Schülertheater par exellance“ und nahm mehr als eine halbe Seite ein. Ringelband befand u.a.:

„Dann ist das Bühnenbild eine wahre Pracht – es übertrifft die Dekoration mancher Profi-Aufführung im Parktheater. (...) Beckers Entwurf trifft die Athmosphäre einer ländlichen Wirtschaft, hat die Rustikalität des Stücks (sehr hübsch das Netz mit Belag als Dach) und gibt genügend Spielraum. Da Becker mit Heinz Baginski gemeinsam Regie führte, erwuchs die Gestaltung der Bühne exakt aus der Konzeption der Regie.“

Bühnenbild von Klaus P. Becker „Der Held der westlichen Welt“ von John M. Synge 1974 im Parktheater Bensheim – erste grobe Ideenskizze (oben) und Realisierung (unten). Gebaut wurde das Bühnenbild eigenhändig von Becker und einigen Mitstreitern der Theater AG in der elterlichen Garage.

Auch zur Inszenierung „Die Heirat“ von Nicolai Gogol sprang zunächst das Bühnenbild ins Auge, indem Becker das gesamte Portal der Guckkastenbühne im Parktheater in einen überdimensionierten güldenen Rahmen kleidete, der schon optisch das Stück in eine andere Zeit und ein gewisses Millieu versetzte. Ringelband schrieb in seiner Rezension vom 29. Juni 1973 im Bergsträßer Anzeiger u.a.:

„Mit wenigen Mitteln hatte Klaus Peter Becker die Bühne stilgerecht skizziert, der goldene Bühnenrahmen rückte gleich alles in die ´gute alte Zeit´, deren Menschen nicht wertvoller und auch komplexbeladen waren, nur wurden sie nicht so vom Stress gejagt wie wir.“

Alles aus einem Guss
Regie, Bühnenbild, Kostüme bis zur Redaktion und Layout der Programmhefte bildeten für Becker immer eine untrennbare Einheit, vom Schülertheater an bis hin zur Kellertheaterzeit mit der Neuen Theatergruppe/ Theater MOBILE. „Bei mir musste immer alles aus einem Guss sein.“

So u.a. bei den Inszenierungen der grotesken Anti-Kriegs-Parabel „Picknick im Felde“ von Fernando Arrabal, ein Klassiker des Absurden Theaters, „Auf Hoher See“ von Slawomir Mrozek oder „Die Kleinbürgerhochzeit“ von Bertolt Brecht.

Bei den Festspielen auf Schloß Auerbach entwarf er zweimal das Bühnenbild zu „Offene Zweierbeziehung“ von Dario Fo 1993 und „Kunst“ von Yasmina Reza 1998. Als Schauspieler ist er hier nur einmal aufgetreten 1993 in „Offene Zweierbeziehung“ als Professor, der gewissermaßen deus ex machina als Schlußpointe des Stücks auftritt. „Bei den Festspielen gab es Abend für Abend für mich andere Prioritäten, als selbst auch noch als Schauspieler auf der Bühne zu stehen. Aber bei „Offene Zweierbeziehung“ war das machbar, ganz zum Schluß, wenn der Abend weitgehend gelaufen war, entspannt auch mal selbst kurz auf die Bühne zu springen.“

Seine kabarettistische Ader lebte Becker regelmäßig für einige Jahre ausgiebig mit einem halbstündigen satirischen Jahresrückblick als Opener des traditionellen Silvester Specials im Parktheater aus - buchstäblich locker vom Hocker an der Rampe. Das wurde von Teilen des Stammpublikums regelrecht erwartet und war dann Gesprächsthema an den Tischen beim anschließenden Büffet. „Aber so etwas macht richtig Arbeit, für die ich im Countdown auf Silvester zwischen den Jahren nicht mehr die notwendige Zeit und Ruhe habe, sodaß ich mich inzwischen auf wenige Minuten im Stehen begnüge. Und so ein Jahr in aller Kürze einzudampfen ist auch eine Herausforderung mit im besten Fall höherer Pointendichte“, so Becker.

„Offene Zweierbeziehung“ von Dario Fo 1993 auf Schloß Auerbach: Becker (links) mit Susanne Heidenreich und Heinrich Cuipers. Becker beim satirischen Jahresrückblick an Silvester 2016 im Parktheater (Foto: Thomas Neu)


Vom Schülertheater zum Staatstheater: „Von der Schulbank weg“
Als Becker tatsächlich sehr schnell sein erstes Ziel erreicht hatte und „von der Schulbank weg“ zunächst als Volontär an das Staatstheater Darmstadt engagiert worden war, wo damals auch der in Auerbach lebende junge Walter Renneisen dem Ensemble angehörte, begleitete der Theaterkritiker Wilhelm Ringelband auch die nächste Etappe von Beckers Theaterlaufbahn, als der ganz unverhofft plötzlich gelegentlich auch über den Schauspieler Becker schreiben konnte. Mit Walter Renneisen stand Becker in den Spielzeiten 1975/76 und 1976/77 mehrmals auf der Bühne u.a. in „Der bestrafte Brudermord“, eine schrille Hamlet-Parodie und Publikumsrenner auf der Werkstattbühne, „Mann ist Mann“ von Bertolt Brecht und bei Renneisens Abschied von Darmstadt in „Richards Korkbein“ von Brendan Behan.

Dabei hatte Becker kurioserweise zunächst gar keine Ambitionen als Schauspieler selbst auf der Bühne zu stehen, sondern eher vor der Bühne als Regisseur. Der Weg dahin führt über Regiassisstenz und da kommt es häufig vor, daß man bei Proben mal einen erkrankten Kollegen markieren (doublen) muss oder kleine Rollen angetragen bekommt oder in der Not zum berühmten Einspringer wird. Bei solchen Gelegenheiten, die zum Theateralltag zählen, ist Becker anfangs mit viel „Kleinkram“ – oder „Wurzen“, wie man am Theater bei kleinen Rollen zu sagen pflegt – derart angenehm aufgefallen, daß im Verlauf der Jahre Rollen immer mehr und größer wurden, sodaß er auf diesem Umweg von der Regie-Ambition abgekommen und in Darmstadt „völlig unbeabsichtigt“ als Schauspieler geendet ist (1975-1987).

Gleich in seinem ersten Stück am Staatstheater Darmstadt „Hamlet“ von Shakespeare stand er u.a. mit  Tatjana Iwanow - damals auch ein bekannter Film- und Fernsehstar in Deutschland und in den bunten Blättern immer wieder als Ex-Ehefrau von Gert Fröbe präsent - oder den jungen Peter Simonischek und Udo Samel auf der Bühne. Die Wege in Darmstadt kreuzten sich auch etwa mit Hannelore Hoger, Witta Pohl, Ruth Drexel, Sebastian Koch, Hajo Heist („Gernot Hassknecht“ in der heute-show), Hans Brenner oder Hanns Dieter Hüsch, mit dem Becker ebenfalls auf der Bühne stand (Shakespeare „Was Ihr Wollt“).

„Einer muss der Dumme sein“ von Georges Feydeau (Becker links mit Wolf Flüs); „Nachtasyl“ von Maxim Gorki (Becker in der Mitte stehend), „Der Snob“ von Carl Sternheim mit Michael Mendl (links), der später auch durch Film und Fernsehen als einer der bekanntesten deutschen Schauspieler populär geworden ist.


„Der steht uns alle an die Wand“

In der Erinnerung von Becker steht unvergessen eine sehr markante Probenbegebenheit für das, was ihn im Kollegenkreis als Schauspieler auf der Bühne ausgemacht hat. Auch nach Auffassung der Kollegen und Regisseure hatte er die Gabe, mit einer sehr starken körperlichen Präsenz selbst ohne große Textpassagen die Blicke des Publikums oft nur auf sich alleine zu lenken, und war die Rolle noch so klein. „Da muss die Rampensau wohl doch schon sehr viel früher in meinen Genen geschlummert haben, als es mir selbst bewußt war“, schmunzelt Becker im Nachhinein.

Da war es nicht verwunderlich, daß bei einer Probe ein verzweifelter junger Kollege in einer Szene, in der er als Hauptdarsteller gerade einen Monolg weit vorne an der Rampe hatte und Becker in einer etwas zwielichtigen Spitzel-Rolle ganz weit hinten auf der Bühne stand - und sogar noch halb verdeckt - dem lauschte, entnervt abbrach, weil er in seinem Rücken spürte, „die gucken doch alle nur auf den Klaus“ und sich beim Regisseur nicht ganz ernst gemeint beschwerte „Der steht uns alle an die Wand“.

Den Nagel hatte er damit auf den Kopf getroffen. Geändert hat der Regisseur die Szene aber nicht.

Großes Ensemblestück am Staatstheater Darmstadt Spielzeit 1984/85: „Der Park“ von Botho Strauß, Inszenierung Eike Gramss. Im Zentrum stehend in weiß Klaus P. Becker.


„Was hat der mit uns vor?“
Sehr markante Erinnerungen hat Becker an zwei Gastinszenierung des legendären Gustav Rudolf Sellner (1905 – 1990). Sellner prägte nach dem Krieg in Darmstadt als Intendant des Landestheaters (1951 – 1961) unter improvisierten Bedingungen in der Orangerie eine legendäre Ära des Damstädter Theaters und galt als Regie-Koryphäe gerade für Klassiker. Danach war er von 1961 bis 1972 Generalintendant und Chefregisseur der Deutschen Oper in West-Berlin. Im hohen Alter kam er als Gast zu zwei Klassikerinszenierungen nach Darmstadt zurück, „Don Karlos“ und „König Lear“.

Bei „Don Karlos“ war Becker Assistent und oft auch sein Chauffeur, denn Sellners private Mietwohnung auf Zeit in Darmstadt lag für Becker auf dem Weg von Bensheim. „Das war für mich sehr praktisch, denn so konnte ich nie zu spät zu Proben kommen, wenn der Sellner immer mit mir kam“.

Die Karlos-Premiere war ein fulminanter Erfolg und weckte des Interesse auch der großen Feuilletons an dieser Altersinszenierung des großen alten Mannes des deutschen Theaters, sodaß auch der damalige Bundespräsident Karl Carstens neugierig wurde und zu einem Vorstellungsbesuch nach Darmstadt kam. Becker erinnert sich, daß der damlige Intendant Kurt Horres in der Pause den Bundespräsidenten auf die Bühne führte und das aufgereite Ensemble vorstellte. „Ganz staatsmännisch anmutend schritt Carstns fast militärisch die Reihe ab und drückte jedem von uns die Hand“, so Becker.

Die Rolle von Becker im späteren „Lear“ war ursprünglich mit einem der ersten Protagonisten des Ensembles besetzt. So klein die Rolle war, so wichtig war sie Sellner - sie hatte Scharnierfunktion für das ganze Stück -, sodaß er unbedingt einen der ersten Protagonisten des Ensembles dafür haben wollte. Den hat ihm die Chefetage des Hauses dann aber aus Gründen der Spielplandisposition wieder ausgeredet und stattdessen „nur“ den Becker vorgeschlagen. Nun, der altersmilde Sellner hat das akzeptiert – und musste es auch nicht bereuen. Dabei ging Becker die erste Probe mit überaus gemischten Gefühlen an, weil Sellner für gerade mal eine halbe Reclamheft-Textseite eine komplette Abendprobe angesetzt hatte, sodaß Becker seinen Kollegen und Partner in der Szene, Helmut Winkelmann, verunsichert fragte „Was hat der denn mit uns vor?“

„Es hat geknistert“: Helmut Winkelmann (links) als Herzog von Albany und Becker (rechts) als Hauptmann bei Albany. „König Lear“ von William Shakespeare, Inszenierung: Gustav Rudolf Sellner, Spielzeit 1983/84 Staatstheater Darmstadt.


In der Pemiere muss genau die Sellner für das Stück so wichtige Scharnierszene allgemein bleibenden Eindruck hinterlassen haben, denn Becker erinnert sich sehr gut, wie nach der Premiere sein Chef, der damalige Oberspielleiter des Schauspiels Eike Gramss, zu ihm kam und einfach nur stumm mit genau der kleinen Geste anerkennend gartulierte, mit der Becker im Stück wieder so einen Moment hatte, bei dem es im Publikum geknistert hat und wieder mal eindrucksvoll bestätigt hatte „Der steht uns alle an die Wand“. Der „Knister-Szene“ ging ein schier endloser stummer Gang von Becker „aus der Tiefe des Raumes“ an die Rampe voraus. Das Bühnenbild bestand im wesentlichen aus einer großen Schrägen (Bühne: Andreas Reinhardt). In diesem geheimnisvollen, spannungsgeladenen Gang  war stumm schon vorweggenommen, was sich dann in einem kurzen Dialog an der Rampe verbal ereignet hat. Der große Sellner hatte wiedermal in großen bedeutungsschweren Bildern gedacht und im Nachhinein hatte sich erschlossen, warum er dafür eine ganze Abendprobe angesetzt hatte.

„König Lear“ von William Shakespeare, Inszenierung: Gustav Rudolf Sellner, Spielzeit 1983/84 Staatstheater Darmstadt. Becker als Hauptmann bei Albany 4. von links lauscht Lear (Arnfried Krämer) und Cordelia (Sybille Schleicher). Das eindrucksvolle Foto aus einer denkwürdigen Inszenierug wurde im Jahresalmanach 1984 des Staatstheaters Darmstadt dokumentiert.


Diese großen Sellner-Inszenierungen Anfang der 1980er Jahre konnte Wilhelm Ringelband durch seinen frühen Tod leider nicht mehr miterleben. Übrigens: Den alten Kollegen Helmut Winkelmann begegnet Becker heute fast täglich, oft sogar mehrmals. Und zwar rein akustisch. Denn Helmut Winkelmann mit seiner überaus markanten Stimme war bis zu seinem Tod 2018 einer der am meisten beschäftigten Synchronsprecher in Funk und Fernsehen für Dokumentationen, Magazinbeiträgen usw. oder in der Werbung.

Wie zur Postkutschenzeit: Kritikerpost von Auerbach nach Darmstadt
Die Tatsache daß Becker, wie auch seine Mutter Hildegard Becker-Eberle in der Oper, lange Jahre am Staatstheater Darmstadt engagiert waren, löste für Ringelband an manchem Sonntag auch ein ganz praktisches Problem. Es war die Zeit noch ohne Fax und E-Mail, wie sollten da am Wochenende die brav mit Schreibmaschine getippten Theaterkritiken per Post rechtzeitig in die Redaktionen gelangen, wenn am Sonntagabend in Bensheim kein Briefkasten mehr geleert wurde? So kam es häufig vor, daß Becker oder seine Mutter, soweit sie sonntags Vorstellung in Darmstadt hatten, am frühen Abend auf dem Weg bei Ringelband im Auerbacher Kurviertel die Post abgeholt und in Darmstadt bei der Post am Hauptbahnhof in den Briefkasten besorgt haben. Der einzige Briefkasten weit und breit, der damals noch sonntagabends geleert wurde.

Klangmächtiger Carl Orff
Die fast zwölfjährige Zeit im festen Engagement am Staatstheater Darmstadt (1975 – 1987) unter den drei Intendanten Günther Beelitz, Kurt Horres und Peter Brenner war für Becker eine solide Grundlage für die folgende sehr viel längere Zeit seines Berufslebens als selbständger Theater-, Kultur- und Festspielunternehmer.

Bleibenden Eindruck neben der Zusammenarbeit mit einer Vielzahl an ganz unterschiedlichen Regisseuren und SchauspielerInnen, die später auch große Fernseh- und Filmprominenz erlangt haben, hinterließen auch die Begegnungen mit Autoren wie Rolf Hochhuth, Hans Magnus Enzensberger, Heiner Kipphardt, Heiner Müller, Peter Weiss, Franz-Xaver Kroetz oder Dirigenten wie Christoph Eschenbach und vor allen Dingen dem Komponisten Carl Orff.

Anläßlich der Premiere von Orffs Oper „Die Kluge“ und einer korrespondierenden Matinee am Vormittag war Orff mit seiner Frau nach Darmstadt gereist und Becker hatte die Aufgabe, ihn an diesem Tag im Haus zu betreuen. Wer Orffs klangmächtige, rhythmusgetriebene Musik etwa seines sicher bekanntesten und populärsten Werkes „Carmina Burana“ im Ohr hat und dann dem Schöpfer dieser kraftvollen Musik plötzlich persönlich gegenübersteht, der ist verblüfft, jedenfalls ging es Becker so. Orff war von Statur ein eher unscheinbarer, kleiner, hagerer – fast asketisch wirkender – Mensch mit einer fast beschämenden Bescheidenheit, Freundlichkeit und Herzlichkeit fernab jeglicher Dünkel und Allüren. Diese Begnung hat sehr nachhaltigen Eindruck bei Becker hinterlassen, zumal er zu Orffs Musik auch noch einen sehr persönlichen, familiär bedingten Zugang hatte: Mutter Hildegard Becker-Eberle gab ihr Operndebüt einst mit der Titelpartie in Orffs „Die Kluge“ in einer Inszenierung von Harro Dicks und die Musik ist Becker von dem damaligen Studium der Partie der Mutter zuhause noch heute nachhaltig im Ohr.

Intermezzo bei der bildenden Kunst
Als Becker 1988 einen Film über die international renommierte deutsche Tapisseriekünstlerin Ursula Benker-Schirmer (UBS) und ihre Fränkische Gobelin-Manufaktur (FGM) in Marktredwitz (Oberfranken) machte, deren Mitarbeiter er in einer kurzen Phase zwischen Staatstheaterengagement und Selbstständikeit war, spielte wieder Musik von Carl Orff eine Rolle.

Die monumentale Tapisserie von Ursula Benker-Schirmer in der Chichester Cathedral (Südengland)

Als Hauptwerk von Ursula Benker Schirmer, die u.a. auch Direktorin am Tapestry Studio am West Dean College in England war, wo sie eng mit Henry Moore zusammenarbeitete, gilt ihre in seinen Ausmaßen von 40 Quadratmetern monumentale Chichester Tapestry. Die Auftragsarbeit für die Kathedrale von Chichester in Südengland steht in Korrespondenz zu den Chagall-Fenstern unter dem gemeinsamen Leitmotiv „Schönheit der Schöpfung“. Das Chichester-Tryptichon von Ursula Benker Schirmer gilt als einer der Marksteine der sakralen Kunst des 20. Jahrhunderts und stand am eindrucksvollen Ende des Films von Becker, der die Sequenz dramaturgisch zugespitzt mit Musik aus „Carmina Burana“ von Carl Orff unterlegt hat. Der Film wurde u.a. 1988 auf der World Tapestry Today in Melbourne (Australien) gezeigt.

Zurück zu den Wurzeln
Noch während Beckers Zeit am Staatstheater Darmstadt lebte unerwartet ab 1985 die alte Verbindung mit dem Parktheater wieder auf. Nach Abenddiensten und Kulissenschieben zu Schülerzeiten und den Inszenierungen mit der Theater AG am AKG jetzt auf einer völlig anderen Ebene. Nach anfänglicher Beratertätigkeit kuratierte Becker kommissarisch als Kulturbeauftragter der Stadt Bensheim unter Bürgermeister Georg Stolle für zwei Spielzeiten 1986/87 und 1987/88 die städtischen Abo-Reihen. Damit war er nicht nur in die Fußstapfen seines Vaters August-Heinrich Becker getreten, sondern rückte ihm auch sein 1981 verstorbener Mentor Wilhelm Ringelband wieder näher in das Bewußtsein, der als Kritiker und kulturelle Autorität das Parkheater bis zu seinem Tod von Anfang an begleitet hatte. Hintergrund war die Tatsache, daß es im Bensheimer Rathaus niemanden mehr gab, dem auch nur annähernd eine gewisse Theaternähe nachgesagt werden konnte, daß er etwa qualifiziert gewesen wäre eingermaßen sachkompetent einen attraktiven Spielplan für das Parktheater zu gestalten. In der damaligen Zeit war das in vielen anderen Städten vergleibarer Größenordnung nicht anders. Vater August-Heinrich Becker war als Leiter des Kulturamtes und Chef des Parktheaters längst im Ruhestand und plötzlich hatte die Stadt zwar noch ein Theater, aber niemanden mehr, der damit etwas anfangen konnte. Das Kulturamt war temporär eine Verwaltungsstelle, von gestalten keine Spur.

„Net so flächendeckend, Herr Becker“
So dümpelte das Parktheater damals als städtische Verwaltungsstelle ohne Personal vom Fach mit anhaltendem Publikumsschwund, bösen Leserbriefen und zunehmend negativer Presse mehr schlecht als recht vor sich hin und es bestand Handlungsbedarf, sodaß Bürgermeister Georg Stolle Becker senior im Ruhestand gerne wieder für das Parktheater reaktivieren wollte. Der winkte aber auch vor dem Hintergrund seiner regen weltweiten Reisetätigkeit mit Studienreisen als geschäftsführender Vorsitzender des Volkshochschul-fördervereins ab und empfahl seinen Sohn, damals Ensemblemitglied im Schauspiel des Staatstheaters Darmstadt.

Nach einer kurzen Bestandsaufnahme stellte der gestützt von Bürgermeister Stolle und den Gremien alles auf den Kopf und legte völlig neue Strukturen, nicht nur inhaltlich-künstlerisch, sondern auch vom Vertrieb der Spielplanbroschüre, der Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation. Es gab nichts in Sachen Parktheater, um das sich Becker nicht persönlich kümmerte und eine völlig neue Gangart anschlug, sodaß – unvergessen – ein altgedienter „Bensemer“ Beamter im Kulturamt einmal stöhnte „Net so flächendeckend“, Herr Becker.

Becker war es wichtig und Voraussetzung, daß er sich der Aufgabe überhaupt annahm, daß er seine eigene Presse- und Öffentlichkeitsarbeit für das Parktheater machen durfte und nicht mehr die städtische Pressstelle. Deren Pressearbeit für das Theater hatte seither eher den Charakter einer amtlichen Bekanntmachung. „Damit kann man keinen ins Theater locken“, so Becker, „Theater, Kunst und Kultur bedürfen einer adäquaten Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit und im Idealfall ist auch ein verantwortlicher Kopf und Name als Bezugsperson von Vorteil, der über die Autorität und Kompetenz verfügt, das Publikum mitzunehmen, neugierig zu machen und dem das Publikum auch vertrauensvoll folgt.“

Die Vielzahl von neuen Maßnahmen mit einem ambitionierten Spielplan haben mit einem deutlichen Anstieg der Abonnentenzahlen auf Anhieb so überzeugend gegriffen, daß sogar in der Stadpolitik eine gewisse kulturelle Euphorie ausgebrochen war und plötzlich die Kultur und insbesondere das Parktheater in Bensheim wieder einen neuen Stellenwert einnahm, was sich vor allem auch in der Presse überaus positiv niedergeschlagen hat. Die Reihen waren wieder gefüllt und das Parktheater Stadtgespräch im positiven Sinne.

Theaterfrühschoppen und Talk zum Spielzeitauftakt
Die Vielzahl von neuen Maßnahmen für das Parktheater fingen damit an, daß es eine ausführliche, dramaturgisch aufgearbeitete von Becker ganz individuell selbst geschriebene und gestaltete Spielplanbroschüre gab und er auch mit einer selbst entworfenen Grafik für Broschüre und Spielzeitplakat dem Parktheater auch optisch ein neues, frisches Gesicht gab. Erstmals gab es u.a. auch eine strategische Anzeigenkampagne für das Theater-Abo. Von wegen Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation: Für Becker war selbstverständlich, daß der Spielzeit auch eine publikumswirksame Auftaktveranstaltung vorausgehen sollte. So gab es erstmals in Bensheim an einem Sonntagmorgen im großen Saal des Bürgerhauses einen Theaterfrühschoppen mit Jazzband und eingestreuten Talk-Runden, zu denen Becker als Moderator mehrere Schauspieler, Regisseure und Intendanten eingeladen hatte, um gesprächsweise kleine Appetitanreger für die kommende Spielzeit zu setzten. Im Vorfeld gab es manchen Zweifler im Rathaus, wieviel Leute da wohl kommen würden und der damalige Pächter des Bürgerhauses Ulrich Flatau grübelte, wieviel Bier und Bratwürste er denn mal vorhalten sollte? Alle Erwartungen wurden übertroffen und der große Saal des Bürgerhauses wurde proppenvoll und geradezu überrannt. Eines von vielen Indizien, was alles in Bensheim auf kulturellem Sektor bisher noch brach lag und zu erschließen war.

Parktheater im Bühnenjahrbuch zwischen Bayreuth und Berlin
Erstmals setzte Becker Bensheim und das Parktheater auch redaktionell in die deutsche Theaterlandschaft mit Aufnahme in das Deutche Bühnenjahrbuch, alpabethisch an exponierter Stelle zwischen Bayreuth und Berlin. Weiterhin wurde Bensheim auf Initiative von Becker Mitglied in der INTHEGA (Interessengemeinschaft der Städte mit Theatergastspielen) und gleichzeitig lud die Stadt Bensheim auf Vorschlag von Becker die INTHEGA zu ihrer Frühjahrstagung 1988 nach Bensheim ein, die im großen Saal des Bürgerhauses abgehalten wurde. In Beckers Zeit fiel auch 1987 die erste Verleihung des Eysoldt-Ringes an Doris Schade, in dessen Organisation er mit seinen persönlichen Kontakten zur Theaterwelt eingebunden war.

Erstmals hatte Becker mit seinen vielen persönlichen Kontakten neben den einschlägigen Tourneetheatern und Landesbühnen auch andere Theater für Bensheim gewinnen können, wie u.a. die Staatstheater Darmstadt, Wiesbaden oder Saarbrücken. Es gab erstmals auch andere, neue Theaterformen für Bensheim im städtischen Abonnement, wie zum Beispiel Ballett, Oper, Tanztheater oder Schwarzes Theater aus Prag, das mit „Der kleine Prinz“ von Saint-Exupéry einen fulminanten Publikumserfolg landete und die neue Theaterbegeisterung in Bensheim nachhaltig mit ins rollen brachte. Von Carl Orff waren „Carmina Burana“ als Ballett und die Oper „Die Kluge“ zu sehen, Das renommierte Ernst-Deutsch-Theater Hamburg gastierte mit Intendant Friedrch Schütter oder das Volkstheater Frankfurt mit Liesel Christ („Mama Hesselbach“). Weitere prominente Schauspieler in der Ära Becker waren u.a. Ralf Wolter, Gerlinde Locker, Walter Renneisen, Heinz Drache, Maria Becker, Lia Wöhr, Johanna von Koczian, Paul Hubschmid, Gert Westphal, Doris Kunstmann, Karl-Heinz Martell, Wolfgang Reichmann, Helmut Lohner, Anaid Iplicjian oder Inge Meysel. Becker ist damals auch viel gereist, um sich Inszenierungen für Bensheim vorab anzuschauen, damit er nicht die Katze im Sack einkaufen musste und immer zuverlässig wusste, was auf das Publikum zukam und das dann auch im Vorfeld über seine Öffentlichkeitsarbeit adäquat kommunizieren konnte. So traf er u.a. mit Elke

Heidenreich zusammen anläßlich der Uraufführung ihres Stücks „Unternehmen Arche Noah“, das  dann 1987 im Parktheater zu sehen war.

Das Beste vom Besten im Parktheater
Welch sicheres Gespür Becker hatte wurde dann gleich im ersten Jahr frappierend u.a. darin dokumentiert, daß fast alle von der INTHEGA als beste Inszenierungen des Jahres ausgezeichneten Produktionen auch im Parktheater zu sehen waren und Bensheim das Beste vom Besten zu sehen bekam, was die Tourneeszene zu bieten hatte. Der frische Wind im Bensheimer Theaterleben wurde auch bei der INTHEGA registriert und der damalige Präsident Dr. Walter Eichner beglückwünschte Becker in einem persönlichen Schreiben zu seiner erfolgreichen Bensheimer Theaterarbeit. Nachdem Becker nach zwei Spielzeiten sein Engagement in Bensheim beendet hatte – unter den damaligen Voraussetzungen war nach zwei Jahren alles erreicht, was man in einer Stadt wie Bensheim auf dem Theatersektor damals erreichen konnte -, schlug das Pendel trotz eines erstmals installierten hauptamtlichen Kulturreferenten leider gleich wieder zurück und der Bergsträßer Anzeiger titelte am 16.9.1988 zur neuen Spielzeit: „Rückläufige Entwicklung bei den Abonnentenzahlen“.

Bürgermeister Stolle zollt Respekt
Über das Parkheater hinaus entwickelte Becker in dieser Zeit auch viele Papiere, Ideen und Konzepte für das Bensheimer Kulturleben und eine neue, aktivere Bensheimer Kulturpolitik. Selbstverständlich spielte bei seinen Ideen damals auch das Auerbacher Schloß als Spielstätte im Sommer schon eine Rolle. Nicht daran zu denken, daß für ein solches Unternehmen aus damaliger Sicht auch nur ein Stadtverordneter die Hand gehoben und die kommunalen Bedenkenträger Mittel bewilligt hätten. Dann hat es Becker später auf eigenes Risiko eben alleine gemacht. Der Rest ist Geschichte.

Im Nachhinein war Bürgermeister Georg Stolle von Beckers Alleingang sichtlich beeindruckt, sodaß Becker auf Stolles Vorschlag 1995 den mit 3000 Mark dotierten einmalig vergebenen Förderpreis Kultur der Volksbank Bergstraße eG verliehen wurde.

Es schließt sich ein Kreis
Mit der Gründung der Festspiele 1991 und den regelmäßigen Veranstaltungen außerhalb des Sommers auch im Parktheater ist Becker in der neuen Rolle als Veranstalter erneut an die alte Wirkungsstätte zurückgekehrt und es hat sich ein Kreis geschlossen. Im gefühlten Ruhestand gibt es hier just for fun noch einige wenige längst institutionalisierte Festspiel-Veranstaltungen wie im Frühjahr Irish Spring, das renommierte Festival of Irish Folk Music, und das traditionelle Silvester Special. Und immer wieder mal Konzerte vor allem mit den noch verbliebenen großen internationalen Namen aus dem Bereich des traditionellen Jazz wie Chris Barber, Dutch Swing College Band, Pasadena Roof Orchestra oder der Barrelhouse Jazz Band. „Als alte Zirkuspferde werden wir auch in dieser Lebens- und Altersphase mit unserer großen Erfahrung, Kompetenz und internationalen Kontakten hier gerne noch weiterwirken, solange die Füße tragen.“

Das große Mysterium Gertrud Eysoldt
Rückblickend stellt sich Becker die Frage, ob er so selbstverständlich und unbeirrrt den gleichen Weg eingeschlagen hätte, wenn er in den prägenden jungen Jahren immer wieder nicht soviel Bestätigung von Ringelband erhalten hätte. Was würde Ringelband dazu sagen, wenn er die Festspiele noch miterlebt hätte? Als Zeichen der engen Verbundenheit hat Becker nach Ringelbands Tod von dessen Mitarbeiterin und gutem Geist im Haushalt Ringelband, Carola Weber, als bleibende Erinnerung dessen Bibliothek überlassen bekommen.

Gleichsam einem Mysterium mutet es an, daß Ringelband zu Lebzeiten nie den Namen Gertrud Eysoldt auch nur erwähnt hätte. Im Nachhinein lässt sich feststellen, daß er diese sehr spezielle und persönliche Verbindung in Form eines regen Briefaustauschs zu Lebzeiten wie ein großes Geheimnis nur in sich getragen hat und Gertrud Eysoldt erst mit der Testamentseröffnung für die verblüffte Öffentlichkeit offenbar wurde.


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